Wissenschaftliche Sammlungen

› Teil-Katalog der wissenschaftlichen Sammlungen

Sammlung am Centrum für Anatomie

Schädel mit Beschriftungen nach Gall

Die Popularität der Gallschen Lehre führte dazu, dass phrenologisch bestimmte Schädel in großer Zahl hergestellt, verkauft und gesammelt wurden; im Zuge der allgemeinen Phrenologie-Begeisterung gelangten wohl auch dieser und der von Galls Schüler Spurzheim bestimmte Schädel in die Sammlung des Anatomischen Instituts der Charité. Gall glaubte, dass sich bestimmte geistige und charakterliche Eigenschaften an entsprechenden Zonen auf der Oberfläche des Schädels - mehr oder weniger ausgeprägt - zu erkennen geben. Die Zonen sind als »Hirnorgane« markiert und beschriftet. Die Eigenschaften, die Gall lokalisierte und »entzifferte«, sind beispielsweise »Scharfsinn«, »Tiefsinn«, »Witz«, »Erziehungsfähigkeit«, »Gutmüthigkeit« (die den moralischen Sinn und das Rechtsbewusstsein umfasst). Auch negative Eigenschaften sind zu erkennen, so der »Würge- und Mordsinn« mit den Unterabteilungen »Barbarei, Blutdurst und Grausamkeit«. Ein eigenes Hirnorgan besitzt auch der »Fortpflanzungs- und Zeugungstrieb«, ihm benachbart ist der »Hang zur sinnlichen Liebe«.

© Charité: Centrum für Anatomie, Birgit Formann; Humboldt-Universität zu Berlin

Detailangaben

Eintragstyp Plastische Objekte
ID 8470
Inventar-Nr. AN 8711, N.C. 381
Dokumentation Neben der Erforschung des Körpers war die Erkundung der geistigen und seelischen Wirkungskräfte eine nicht weniger große Herausforderung für Anatomen, welche die Selbsterkenntnis des Menschen auf eine wissenschaftliche Grundlage stellen wollten. Die von dem Arzt und Anatomen Franz Josef Gall um 1800 in Wien entwickelte Schädellehre (Phrenologie) galt zu Beginn des 19. Jahrhunderts als großer Fortschritt und faszinierte nicht nur Mediziner, sondern auch gebildete, nach ihrem Selbstverständnis aufgeklärte Laien. Gall suchte das Unfassliche gleichsam dingfest zu machen, indem er die geistigen und seelischen Anlagen des Menschen im Gehirn lokalisierte und auf der Landschaft des Schädels die Orte verzeichnete, an denen sich, wie er glaubte, ihre »Verrichtungen« entfalteten. So populär diese Lehre auch war - in Wien gedieh das phrenologische Bestimmen von Schädeln zu einer Art Gesellschaftsspiel, an dem jeder ohne viel Vorkenntnisse teilnehmen zu können glaubte -, blieb sie nicht unumstritten und handelte sich den Vorwurf des Materialismus ein, der gegen die »ersten Grundsätze der Religion und Moral« verstoße. Diese damals fundamentale Kritik führte in Wien zum Verbot der Lehre. 1805 trat Gall eine längere Vortragsreise durch Deutschland an, und im August des gleichen Jahres hörte ihn Goethe an der Hallenser Universität. »Seine Lehre«, so Goethe in den Tag- und Jahresheften, »mußte gleich, so wie sie bekannt zu werden anfing, mir dem ersten Anblicke nach zusagen«. Freilich schätzte Goethe, der damals vergleichende morphologische Studien betrieb, Galls anatomische Kenntnisse des Gehirns weit höher ein als die populären physiognomischen Spekulationen. Eine Einschätzung, die sich Ende des 19. Jahrhunderts bestätigte, als die Schädellehre - im Grunde ein Kind des 18. Jahrhunderts wie Lavaters Physiognomik - wissenschaftlich nicht mehr zu halten war. Als Hirnanatom kam Gall indessen zu richtigen und wegweisenden Einsichten. Auf dem Feld der Hirnforschung war er ein Pionier seiner Zeit.
Sachtitel Schädel mit Beschriftungen nach der Lehre von Gall
Datierung um 1800
Hersteller Franz Joseph Gall
Format 26 x 13 x 20 cm

Verschlagwortung