Wissenschaftliche Sammlungen

› Teil-Katalog der wissenschaftlichen Sammlungen

Sammlung am Centrum für Anatomie

Fuß einer Chinesin, präparierte Knochen und Gipsabguss

Beschreibung seit 2002:

Knochenpräparat in Skelettaufstellung nach Form und Gipsabguss des intakten Fußes

Noch im 19. Jahrhundert galt in China der durch Abbinden künstlich verkrüppelte Fuß als Ausdruck weiblicher Schönheit, eine Sitte, die auf alter Tradition beruhte. Nach der Jahrhundertwende untersuchte Hans Virchow das Phänomen aus anatomischer Sicht, wobei er auf Röntgenbilder von Frauenleichen zurückgriff. Außerdem nutze er dafür die von ihm entwickelte Methode der Montage von Skelettelementen und Knochenteilen nach Form. Sie ermöglicht eine exakte Montage der mazerierten, entfetteten und gebleichten Knochen in ihrer natürlichen Lage zueinander. Nach dieser Methode wird beispielsweise ein kompletter Fuß zunächst vom Fußrücken bis zum Fußrand in Gips eingebettet. Anschließend werden von der Fußsohle aus alle Weichteile entfernt, bis die Knochen und die Gelenkspalten in voller Ausdehnung zu erkennen sind. Die Knochen werden dann auf der Fußsohlenseite mit Gips abgeformt. In der so gewonnenen Negativform kann man dann später die sauberen Knochen montieren. Der hier gezeigte Fuß einer Chinesin ist durch das Schnüren insgesamt sehr klein und zart; die Fußform hat sich stark verändert. Es liegt ein extremer Hohlfuß mit steil verlaufendem Fersenbein und Mittelfußknochen vor. In völlig unphysiologischer Weise sind die Zehen 2 bis 5 unter die Fußsohle gedrückt. AS/GW

Beschreibung seit 2023:

Über einen Zeitraum von fast tausend Jahren wurden Mädchen in China die Füße gebunden. Kleine Füße galten nicht nur als Schönheitsideal, sondern auch als Zeichen sozialer und ethnischer Distinktion. Im 19. Jahrhundert breitete sich die Praxis in vielen Regionen bis in die unteren Schichten aus. Parallel zur imperialen Einflussnahme in China interessierten sich auch europäische Anatomen für das Füßebinden. Die zunehmende Zahl entsprechender Präparate hat die kolonialen Strukturen zur Bedingung: In China war der Blick auf die nackten gebundenen Füße tabu, gleiches galt für die Mutilation von Leichen – im Zuge der Opiumkriege und des sogenannten „Boxerkriegs“ jedoch gelangten über Missions- und Stabsärzte abgeschnittene Füße nach Europa, teilweise wurden sie aus Gräbern geraubt.

Der hier gezeigte Fuß stammt von einer etwa 60-jährigen, an Flecktyphus verstorbenen Frau aus der Provinz Shandong. Ihre abgetrennten Füße waren nach dem „Boxerkrieg“ in den Besitz des Leibarztes Heinrichs von Preußen, Max Reich, gelangt. 1912 fertigte Hans Virchow einen Gipsabguss und Röntgenaufnahmen der Füße, danach wurden beide mazeriert. Laut der Beschreibung in seiner aufwändig illustrierten Publikation Der Fuß der Chinesin vergaß ein Assistent den ersten Fuß in der Kalilauge, so dass er sich ganz auflöste; die Entfleischung des anderen wurde schrittweise fotografisch protokolliert. Die entfetteten und gebleichten Knochen wurden „nach Form“ aufgestellt. Die von Virchow entwickelte Methode ermöglicht die exakte Montage der Knochen in ihrer natürlichen Lage zueinander. Dazu wird der Fuß zunächst in Gips eingebettet. Anschließend werden von der Fußsohle aus alle Weichteile entfernt, bis alle Knochen und Gelenkspalten in voller Ausdehnung zu erkennen sind. Die Knochen werden dann auf der Fußsohlenseite mit Gips abgeformt. In der so gewonnenen Negativform kann man später die sauberen Knochen montieren. Das Skelett weist ein steil verlaufendes Fersenbein und Mittelfußknochen auf, die Zehen 2 bis 5 sind unter die Fußsohle gedrückt.

© Charité: Centrum für Anatomie, Birgit Formann; Humboldt-Universität zu Berlin

Detailangaben

Eintragstyp Plastische Objekte
ID 8479
Sachtitel Fuß einer Chinesin Knochenpräparat in Skelettaufstellung nach Form
Datierung um 1910
Hersteller Hans Virchow
Format 15 x 6 x 14,5 cm (Präparat) 13 x 6,5 x 15 cm (Gips)

Verschlagwortung