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Das Triptychon in der DDR

Die Gattung des Triptychons ist ursprünglich eine sakrale Bildform. Die Dreiteilung ermöglicht eine besondere Hierarchisierung von Szenen und Bildfiguren, aber auch eine erzählerische Abfolge zwischen den einzelnen Bildfeldern. Seit dem 19. Jahrhundert war nicht mehr das Religiöse allein bestimmend für die Wahl des Formats, auch Themen wie der Krieg und seine Folgen oder mythologische Geschichten wurden relevant. In der DDR wurde das Mehrtafelbild vor allem gewählt, um bestimmte historische Ereignisse mit dem Aufstieg und Kampf des Sozialismus in Verbindung zu setzen. Zwei Beispiele aus der Kunstsammlung der HU – Bert Hellers Entwicklungsstadien des Sozialismus und Heinrich Tessmers Stationen nach 1945 – sind hierfür exemplarisch.

Bert Heller, Entwicklungsstadien des Sozialismus, 1953

Bert Heller, Entwicklungsstadien des Sozialismus, Mischtechnik/ Hartfaser, 1953, Inv.-Nr. M 023
Bert Heller, Entwicklungsstadien des Sozialismus, Mischtechnik/ Hartfaser, 1953, Inv.-Nr. M 023

Bert Hellers Triptychon nimmt mit den schmaleren Seitentafeln und dem breiteren Mittelbild noch die klassische Hierarchisierung der sakralen Bildform auf. Er wählt drei historische Ereignisse bzw. Momente, wobei die beiden äußeren nicht nur chronologisch dem Mittelbild vorangehen, sondern auch als notwendige Vorstufen einer geschichtlichen Entwicklung aufgefasst sind. Die titelgebenden Entwicklungsstadien des Sozialismus werden links mit dem Bauernkrieg 1525 (verstanden als Bauernbefreiung und zu DDR-Zeiten als „frühbürgerliche Revolution“ bezeichnet), rechts mit dem Weberaufstand von 1844 und mittig dem Sieg über Nazi-Deutschland (bzw. dem Kampf gegen den Imperialismus) 1949 beschrieben. Damit ist auch die Befreiung vom Faschismus – ein wichtiges Narrativ der DDR – angesprochen.
Das Triptychon geht auf einen Auftrag des Kulturfonds des Berliner Magistrats aus dem Jahr 1953 zurück und sollte den Weg hin zum sowie den aktuellen Stand des Sozialismus darstellen. Die Wahl der Dreiteilung beruhte auf der „dialektischen“ Umsetzung des Themas, d. h. dem historischen Ringen mit Rückschlägen. Konkret werden somit der Bauernaufstand des 16. Jahrhunderts und der Aufstand der Weber im 19. Jahrhundert mit der Befreiung der Arbeiterklasse in Beziehung gesetzt und als bedingtes Scheitern auf dem Weg zum realen Sozialismus interpretiert. Damit stand die geschichtsphilosophische Deutung auf dem propagierten Fundament des historischen Materialismus, Geschichte sollte im Fokus der sozialistischen Entwicklung gezeichnet werden und zugleich eine aktuelle Sinndeutung anbieten. In Bert Hellers eigenen Worten:

„Es gibt kein Licht ohne Schatten – das Positive muß historisch sichtbar werden. Ohne den Kampf und das Irren darum fehlen Spannung, Konflikt, Problem.“ (zit. nach Mittelstädt 1958, S. 21)

Die historische Rahmung kulminiert im Mittelbild in der „Auflehnung gegen Gewalt und Krieg“, personifiziert durch die abwehrend ihren Arm erhebende Frauenfigur. Nicht mehr Leid und Niederlage, sondern Kampf und (zukünftiger) Sieg bestimmen das im Gegensatz zu den Seitenbildern hell erleuchtete Geschehen der Zukunft.

Wie das Werk an die Humboldt-Universität gelangte, ist unklar.
Der Filmkomponist und Dirigent Wilhelm Neef widmete 1971 sein Klavierkonzert Nr. 1 Bert Heller, der erste Satz – mit hohem Tempo, voller Dramatik und Pathos – explizit dem Triptychon: https://www.youtube.com/watch?v=6D6s-PJU2xk

Heinrich Tessmer, Stationen nach 1945, 1973

Heinrich Tessmer wählt für sein Triptychon eine andere historische Zeitschiene. Das Ende einer Epoche und der Beginn einer neuen Zeit lassen sich von links nach rechts wie in einer erzählerischen Abfolge lesen. Auch wenn ein insgesamt düsterer Farbton vorherrscht, lässt Tessmer mit leichten Nuancen doch eine Entwicklung hin zum Besseren erkennen. Von den Trümmern des Zweiten Weltkriegs links werden die Bildfiguren eingeengt und zugleich brechen sie heraus – befreit durch den Sozialismus, für den symbolisch die rote Fahne im Mittelbild von einem Arbeiter fest umgriffen wird, um im Sozialismus wieder zu einem friedlichen gesellschaftlichen Zusammenleben zu führen. Familie, Liebesbeziehungen und normaler Alltag sind wieder möglich. Eher still und zurückhaltend, nicht mit plakativem Pathos, wird der Aufbau einer neuen Gesellschaft aus ihrer jüngsten Vergangenheit und mit den Idealen des Sozialismus ins Bild gesetzt. Die engen Bildausschnitte rücken das Geschehen nah an den Betrachtenden, der sich entsprechend mit dem Geschehen auseinandersetzen muss.

Wie das mehrfach in Ausstellungen gezeigte Werk an die Humboldt-Universität kam, ist unklar. Es wurde 1979 im Beratungsraum der SED-Kreisleitung im Universitätshauptgebäude aufgehängt – entsprechend seinem Status als sozialistisches Historienbild. In dieser Weise hat es auch der damalige Kustos der Kunstsammlung beschrieben:

“Heinrich Teßmers Dreitafelbild ist ein interessanter Versuch einer künstlerischen Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit, in der es dem Künstler um die bildnerische Formulierung der Wahrheit einer Zeit geht, die seine Generation noch nicht bewußt miterlebt hat. So zeigt die linke Tafel [Das Ende des Krieges] ein der schrecklichen Realität abgewonnenes Bild vom schweren Neubeginn aus Trümmern und Ruinen, als Widerhall einer leidvollen und düsteren Vergangenheit.”

Heinrich Tessmer, Stationen nach 1945, Öl/ LW, 1973, Inv.-Nr. M 014, linke Tafel
Heinrich Tessmer, Stationen nach 1945, Öl/ LW, 1973, Inv.-Nr. M 014, linke Tafel

“Die Mitteltafel [Der Anfang] mit dem Bild der roten Fahne ist das ideelle Zentrum der Komposition. Sie enthält das Bekenntnis des Künstlers zu unserem Staat und der gesellschaftlichen Umwälzung, in der Kurs auf den Sozialismus genommen wurde unter der Führung der Partei der Arbeiterklasse.”

Heinrich Tessmer, Stationen nach 1945, Öl/ LW, 1973, Inv.-Nr. M 014, Mitteltafel
Heinrich Tessmer, Stationen nach 1945, Öl/ LW, 1973, Inv.-Nr. M 014, Mitteltafel

“Eine Menschengruppe vor einer Flußlandschaft zeigt T. als nüchternen Realisten, der das Bilder der neuen, in den Sozialismus hineinwachsenden Menschen ernst und ohne Verklärung der widerspruchsvollen Realität formuliert [rechte Tafel: Der Spaziergang am Fluß]. Größte Bedeutung erhält dabei die Farbe. Der Maler nutzt bewußt die suggestive Wirkung schwerer, gebrochener Farbklänge, denen das Rot im Mittelteil als besonderer Akzent hinzugefügt ist, um die Anstrengungen und Mühen der jeweiligen gesellschaftlichen ‘Station’ anzudeuten.”
(Kustos Kurt-Heinz Rudolf, 6.11.1979, Archiv Kustodie/Kunstsammlung, Durchschlag)

Heinrich Tessmer, Stationen nach 1945, Öl/ LW, 1973, Inv.-Nr. M 014, rechte Tafel
Heinrich Tessmer, Stationen nach 1945, Öl/ LW, 1973, Inv.-Nr. M 014, rechte Tafel

Während die künstlerische Auffassung des Themas den Versuch einer Formfindung für historische Ereignisse darstellt, die als besonders relevant für die Entwicklung des Sozialismus anerkannt waren, belegte das Triptychon in seiner Hängung an der Universität die Nähe von Wissenschaft und Politik in der DDR. Durch die Aneignung von Geschichte sollte die DDR eine eigene Identität erhalten – als sozialistische deutsche Nation, hervorgegangen durch die die nationale deutsche Geschichte. Laut Erich Honecker sollten sich die DDR-Bürger als

„die Erben und Fortsetzer jahrhundertealter Kämpfe um ein menschenwürdiges Leben begreifen. Ein tiefes Verhältnis zur Geschichte stärkt die Verbundenheit der Bürger mit ihrem sozialistischen Vaterland und erhöht ihren Stolz auf die Errungenschaften der sozialistischen Revolution.“ (Honecker 1979)

Die so gesetzte Kulturpolitik haben Heller und Tessmer auf ihre Weise umgesetzt. Ihre und weitere künstlerische Beiträge zeugen dabei sowohl von der Dominanz des historischen Narrativs als auch von der Vielfalt ästhetischer Möglichkeiten der Kunst in der DDR.

Literatur:

Ullricht Kuhirt: Echte künstlerische Experimente, in: Bildende Kunst, Heft II, 1958, S. 756-758;

Kuno Mittelstädt: Meilensteine des Sozialismus. Ein neues Werk von Bert Heller, in: Kunsterziehung 6, 1958, S. 21-22;

Bert Heller. 1912-1970. Gemälde, Zeichnungen, Plakate, Illustrationen, Ausst. Gemäldegalerie Neue Meister, Dresden 1972;

Erich Honecker: Die Kulturpolitik unserer Partei wird erfolgreich verwirklicht. Vom Treffen mit Kultur- und Kunstschaffenden, in: Neues Deutschland 23./24.6.1979, S. 3f., hier S. 4;

Weggefährten - Zeitgenossen. Bildende Kunst aus drei Jahrzehnten, Ausstellung zum 30. Jahrestag der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik, Altes Museum, Berlin 1979;

Alltag und Epoche. Werke bildender Kunst der DDR aus 35 Jahren, Ausst. Altes Museum, Berlin 1984;

Ulrike Krenzlin: Historienmalerei in der DDR - Bebilderung oder Erhellung der Geschichte? (= Hefte zur DDR-Geschichte; 1), Berlin 1992, S. 18;

Deutschlandbilder. Dokumentation zur Ausstellung im Martin-Gropius-Bau Berlin, Käthe-Kollwitz-Museum, Berlin 1997/98.