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Elisabet(h) Ney, Eilhard Mitscherlich, 1865

Elisabeth Ney war eine zu ihrer Zeit berühmte und hoch geschätzte Bildhauerin, die regelmäßig bei den Akademie- und Internationalen Kunstausstellungen in Berlin und München vertreten war, ebenso im Pariser Salon ausstellte und drei Weltausstellungen beschickte. Sie wurde als erste Frau an der Münchner Akademie zur Bildhauerklasse zugelassen, erhielt 1855 ein Jahresstipendium der Akademie der Künste in Berlin und war eine Schülerin von Christian Daniel Rauch. Nach dessen Tod 1857 übernahm sie einige seiner Aufträge, darunter auch die Büsten von Jacob Grimm (1785-1863) und Eilhard Mitscherlich (1794-1863). Letztere wurde als Marmorfassung 1863, im Todesjahr des Chemikers, Physikers und Geologen, von der Universi­tät zur Aufstellung im Institut der Naturwissenschaften bestellt und bis 1865 ausgeführt.

Marmor, 60 cm
Marmor, 60 cm

Beide Gelehrtenbüsten erinnern stark an Werke ihres Lehrers Rauch mit ihrer Orientierung am klassischen Ideal der Antike, was an der Nacktheit und dem unteren Büstenabschluss als Hermenschaft zum Tragen kommt sowie in der Nachahmung der Natur mit klaren, individuellen, ausdrucksstarken Gesichtszügen, besonders in der Augen- und Wangenpartie, bei Kinn und Hals. 1860 wurde die Gipsversion der Büste von Mitscherlich auf der Akademie­ausstellung in Berlin gezeigt, ein Jahr darauf im Pariser Salon sowie gemeinsam mit der Büste Jacob Grimms ebenfalls 1861 in der Ausstellung des Westfälischen Kunstvereins in Münster – der Geburtsstadt Neys.

Sowohl die Gips- als auch die Marmorfassung der Mitscherlich-Büste galten lange Zeit als verschollen. 1989 wurde die Gipsbüste im Mausoleum der Familie auf dem alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg wiederentdeckt, einige Jahre später die Marmorbüste an der Universität. Das als Kriegsverlust geltende Werk wurde in einer „vermutlich Schadow“ zuge­schriebenen Mitscherlich-Büste in der Landwirtschaftlichen Fakultät erkannt, die Signatur bestätigte die Zuschreibung an Ney.

Neben privaten Auftraggebern verhalfen der Bildhauerin insbesondere auch öffentlichkeits­wirksame Staats­aufträge zu hohem Ansehen. Sie selbst pflegte einen exzentrischen Habitus, den sie ebenso gezielt für ihr Selbstbild einsetzte wie die Verheimlichung ihrer Ehe, um ihre Unabhän­gigkeit zu bewahren – ein steter Kampf als Frau für ihre Karriere, für den sie ohne traditionelle Vorbilder „die Modelle und Beschreibungsformen für ihre Biographie selbst erschaffen musste“ (Birgit Franke/ Barbara Welzel, in: Kat. Herrin ihrer Kunst. Elisabeth Ney. Bildhauerin in Europa und Amerika, Stadtmuseum Münster, Köln 2008, S. 120). Dass die Büste von Jacob Grimm noch mit der Abkürzung „E.“ signiert ist, verweist auf ihre zu dieser Zeit „noch nicht vollständig ausgereifte Einstellung zu ihrer Künstlerinszenierung“ (Barbara Rommé, in: Kat. Herrin ihrer Kunst 2008, S. 13). Die Mitscherlich-Büste ist hingegen mit „E. Ney“ signiert. Auch finanziell agierte Ney geschickt und erwirkte für ihre Entwürfe Patentschutz – auch dies bereits für die Büsten von Grimm und Mitscherlich 1861. In den USA, wohin sie 1871 gegangen war, war die Bildhauerin nicht weniger erfolgreich. Ihr Atelier wurde nach ihrem Tod musealisiert und mit ihrer eigenen Selbstinszenierung mit kurzen Haaren, selbst entworfenen antikisierenden Gewändern, Fotos in ihrem Atelier und durch Gespräche und Interviews sorgte sie umfassend für ihr Nachleben. Dennoch war sie wie viele Bildhauerinnen ihrer Epoche lange Zeit vergessen.

Marmor, 60 cm
Marmor, 60 cm

Die Mitscherlich-Büste steht stellvertretend für die 1833 begonnene Tradition der Universität, ihre Professoren (zumeist postum) in Büsten, Gemälden, Zeichnungen oder Medaillen zu ehren – eine Tradition, die bereits die mittelalterlichen Universitäten pflegten. Christian Daniel Rauchs Büste Christian Wilhelm Hufelands war dabei die erste Büste, die in der Aula aufgestellt wurde, was damals noch beim Ministerium für geistliche, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten beantragt werden musste. 1836 wird daraus ein Statut entwickelt, das sowohl die Aufstellung von Büsten in der Aula als auch eine Sammlung von verschiedenen Bildzeugnissen im Senatsaal festlegt, „um eine bleibende Erinnerung an die Professoren der Universität zu erhalten“ (§ 1). Bis zu Beginn der 1930er Jahre wurde diese Tradition fortgeführt, wobei die Aufstellung aufgrund der Menge an Büsten bereits zum Teil in die Institute verlagert worden war. Mit Unterbrechung und einigen Verlusten durch den Zweiten Weltkrieg stehen heute wieder zahlreiche Büsten in den Räumen der Universität. Berühmte Wissenschaftler trafen dabei auf bedeutende Bildhauer (Ney bildet hier die große Ausnahme), Berliner Wissenschafts- und Kunstgeschichte konnten so gemeinsam identitäts­stiftend wirken – allerdings mit einem starken Fokus auf das Ende des 19. bzw. den Anfang des 20. Jahr­hunderts. Auch wenn heutzutage nicht mehr jede:r Wissenschaft­ler:in ein künstlerisches Zeugnis seines/ihres Wirkens erhält, finden sich doch vereinzelt auch Büsten jüngeren Datums – so zwei Büsten von Fritz Cremer (Ernst Hermann Meyer, 1979 und Richard Hamann, 1954), die lebensgroße Plastik Dietrich Bonhoeffers von Alfred Hrdlicka (1977) sowie die Büsten Gottfried Haberlandts von Lászlo Rajki (1995), Rahel Hirschs von Susanne Wehland (1995) und Rhoda Erdmanns von Anna Franziska Schwarzbach (2017).

Autorin: Christina Kuhli, Kustodin der HU
Kunstsammlung / Kustodie der Humboldt-Universität