Wissenschaftliche Sammlungen

Sammlungsportal

KATRIN WEGEMANN, 27°, 2015/16

Kunstwerk des Monats 02/2023

24 Formen, unterschiedlicher Größe, je zwischen 70 x 197 cm auf einer Gesamtfläche von 130 x 70 cm, Foyer Rhoda-Erdmann-Haus, Campus-Nord

Grüne Amöbe

Bereits das moderne, 2016 eröffnete Gebäude des Instituts für Biologie mutet wie ein Kunstwerk an. Die amorphe Form und die grüne Metallfassade haben ihm von den Nutzer:innen, Forschende auf dem Gebiet der Molekular- und Zellbiologie, schnell den Spitznamen „Grüne Amöbe“ eingebracht. Diese
Assoziation wird mit dem Kunstwerk von Katrin Wegemann im Inneren fortgeführt. Es trägt den Titel „27° C“ und erstreckt sich im offenen Treppenhaus über drei Etagen. Unregelmäßige, mit Erhebungen und Abrundungen geformte Objekte aus Acrylharz, verteilen sich mal eher vereinzelt, mal mehr in Gruppen über die Treppenhauswand, nach oben hin weniger werdend. Sie symbolisieren damit die Morphologie unterschiedlicher Zellverbände. Ebenso wie Größe und Formen differieren, unterscheiden sich auch die Arbeitsgebiete der Forscher:innen auf den Stockwerken, die sich mit Vielzellern (z.B. Pilze, Pflanzen), Einzellern (Amöben u.a.) bzw. Einzellern (etwa Kokken) befassen.

Doch nicht nur die Formen und Anordnungen verweisen auf die spezifischen Forschungsgebiete der Biologie. Die glatten Oberflächen der zunächst schwarzen Objekte reagieren auf Temperatur-änderungen: Durch Anfassen oder eine Schwankung der Raumtemperatur ändern sie dank ihrer Beschichtung mit Thermochrom- und Klarlack ihre Farbigkeit, von Schwarz zu Rot, Grün oder Blau oder mehrfarbig. Somit ist das Kunstwerk nicht nur ortsspezifisch konzipiert, es funktioniert nicht nur optisch, sondern auch haptisch. Die biomorphen Strukturen, die in der bildenden Kunst bereits Anfang des 20. Jahrhunderts die Formensprache eroberten – etwa bei Hans Arp oder Joan Miró – finden in Wegemanns Werk eine besondere, partizipative Verbindung zum Betrachtenden. Während man stillsteht, um die Objekte visuell oder ganz im Wortsinne zu erfassen, scheinen diese durch die Berührung zum Leben zu erwachen, sich zu verändern. Anfassen ist also explizit erwünscht!

Wer sich für die Entstehung des Kunstwerks interessiert, dem sei das folgende kurze Video empfohlen: https://katrinwegemann.de/arbeit/27-c/

Die Namenspatronin des Gebäudes Rhoda Erdmann (1870-1935) war Biologin, Zellforscherin und Mitbegründerin der experimentellen Zellbiologie in Deutschland. Sie studierte von 1903 bis 1908 Zoologie, Botanik und Mathematik an den Universitäten Berlin, Zürich, Marburg und München und war einer der ersten Promovendinnen in Deutschland. Nach ihrer Promotion arbeitete sie am Institut für Infektionskrankheiten bei Robert Koch. Da Frauen zu dieser Zeit eine Karriere in der Wissenschaft meist verwehrt wurde, zog sie 1913 in die USA und arbeitete zunächst in New York am Rockefeller Institute, später an der Yale University. Nach dem Ersten Weltkrieg kehrte sie nach Berlin zurück und schlug noch weitere wissenschaftliche Wege ein: 1920 habilitierte sie sich in Zoologie, wechselte 1923 an die Medizinische Fakultät und wurde 1929 zur außerordentlichen Professorin ernannt. Mit der Umwandlung ihrer Abteilung am Institut für Krebsforschung in ein selbständiges Universitätsinstitut für experimentelle Zellforschung war sie die erste Frau, die eine solche Forschungsanstalt leitete.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten geriet Rhoda Erdmann 1933 ins Visier der politischen Willkür. Denunziert und kurzzeitig inhaftiert, weil sie Juden bei der Emigration unterstützt haben soll, wurde sie schließlich selbst als angebliche Jüdin von ihren Ämtern entbunden. 1935 starb Erdmann nach längerer Krankheit in Berlin.

Eine Büste der Namensgeberin aus dem Jahr 2017, auch diese geschaffen von Anna Franziska Schwarzbach, befindet sich ebenfalls im Foyer.

Autorin: Christina Kuhli, Kustodin der HU
Kunstsammlung / Kustodie der Humboldt-Universität