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Simon Bolivar und Alexander von Humboldt

Zwei Männer stehen sich in einem Raum mit respektablem Abstand gegenüber. Beide scheinen aus den hinter ihnen stehenden Sesseln aufgestanden zu sein. Während der rechte Herr durch ein Bücherregal, einen Globus sowie Landkarten auf dem Tisch, aber auch durch die wohl bekannte Physiognomie als Alexander von Humboldt zu erkennen ist, bleibt der andere Mann zunächst anonym. Humboldt weist auf den südamerikanischen Kontinent auf der halb über der Tischkante hängenden Karte. Somit handelt es sich bei dem Interieur um die Begegnung zwischen Alexander von Humboldt und Simón Bolívar. Während Humboldt halb neugierig, halb reserviert den berühmten Revolutionsführer anblickt, scheint dieser an ihm vorbeizusehen und mit Stolz gestreckter Brust in die Zukunft zu schauen.

Öl/Leinwand, 212 x 175 cm
Öl/Leinwand, 212 x 175 cm

Zwei Zusammentreffen zwischen Humboldt und Bolívar hat es tatsächlich gegeben – im Sommer 1804 in Paris sowie 1805 in Rom, somit nach Humboldts großer Amerikareise. Allerdings sind sie nicht in trauter Zweisamkeit und auch nicht vor dem Hintergrund der Unabhängigkeitsbestrebungen Lateinamerikas gegen das spanische Imperium erfolgt, die erst um 1808 begannen. Bolívar war zu dem Zeitpunkt noch ein Schürzenjäger ohne politische Vision und Humboldt hatte seine Reise nur durch die Erlaubnis des spanischen Königs Karl IV. machen können. Der Mythos von Humboldt als „wissenschaftlichem Vater der politischen Unabhängigkeit“ (Michael Zeuske: Humboldt und Bolívar, in: Frank Holl (Hg.): Alexander von Humboldt. Netzwerke des Wissens, Akat. Berlin/ Bonn 1999-2000, S. 128-129, hier S. 129) wurde bereits von den Zeitgenossen aufgebaut, ebenso wie Bolívars Kampf um Gleichheit, Agrarreformen und gegen die Sklaverei als Mythos der „kontinentalen Vereinigung der Länder des Südens gegen ‚den Norden‘“ verbrämt und er als Held einer venezolanischen Nation verehrt wurde (Michael Zeuske: Simón Bolívar. Befreier Südamerikas – Geschichte und Mythos,Berlin 2011, S. 12). Beides resultierte daraus, dass die Revolution der Kolonie Venezuela zwar eine neue staatliche Ordnung, aber mit neuen Eliten gebracht hatte, die die alte koloniale Wirtschafts- und Sozialordnung auf ihre Weise fortführten (ebd., S. 15). 1984 schien der Mythos jedoch noch zu funktionieren, das Gemälde von Etna Velarde wurde Erich Honecker von der Kommunistischen Partei Peru geschenkt – 1824 hatten Bolívars Truppen auch dort die spanische Kolonialherrschaft beendet. Honecker übergab das Werk der Humboldt-Universität, wo es 1984 am Eingang des Audimax aufgehängt wurde. Heutzutage ist es, wie viele Werke aus der Zeit, im Magazin untergebracht. Alexander von Humboldt begegnen wir auch als „zweiten Entdecker Kubas“, nämlich durch die Inschrift auf dem Sockel der Statue vor dem Hauptgebäude, verfasst und gestiftet von der Universität Havanna bereits im Jahr 1939.

Die Künstlerin Etna Velarde (1940-2014), die in ihrer Heimat Peru schon als Jugendliche berühmt wurde, widmete sich häufig historischen Themen und Personen, für die sie häufig nach Quellen, mündlichen und schriftlichen Zeugnissen suchte und Fotoarchive, Kriegsberichte und Bücher durchforstete. Auffallend ist hier die große Porträttreue von Humboldt und Bolívar, vergleicht man andere Darstellungen der beiden Männer in Gemälden, Grafiken und auf Medaillen. Die Darstellung der eigenen Geschichte und ethnischen Identität folgt zwar den bis heute wirksamen Mythen, doch ist sie als historische Szene ebenso distanziert geschildert.

Autorin: Christina Kuhli, Kustodin der HU
Kunstsammlung / Kustodie der Humboldt-Universität