Wissenschaftliche Sammlungen

Sammlungsportal

Wolfgang Frankenstein, Die Blinden im Gebirge IV, 1988

Wolfgang Frankensteins Bilder begegnen einem in vielen Räumlichkeiten der Humboldt-Universität. Die große Fülle an Werken verdankt die Universität, der Frankenstein ab 1968 als Leiter des Bereichs Kunsterziehung und ab 1973 als Professor an der Sektion Ästhetik und Kunstwissenschaften angehörte, der Schenkung seines Nachlasses 2014. Somit besitzt die HU einen großen Bestand an Frankenstein-Bildern, ergänzt um ein Grafik-Konvolut, der zum Teil durch Ausstellungen und Publikationen bereits zu DDR-Zeiten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt war.

Typisch für die Technik der Werke im Universitätsbestand sind die vielen Lasuren und Höhungen, das pastose Verreiben der Farbe mit einem Spachtel und die durch Zwischenfirnis durchscheinend gehaltenen Öl- und Temperafarben. In den Landschaften entdeckt man sowohl die norddeutsche Küste, Skandinavien, Russland, Spanien und Nordafrika als auch südamerikanische Steppen. Wie in diesen lassen sich auch in vielen seiner Stillleben und Porträts – abgesehen von einzelnen Motiven – mit heutigen Augen wenig politische Intention erkennen. Anders erscheint dies bei der Bilderfolge Karl Marx und der Sieg des Sozialismus (1985), Industrielandschaften, mythologischen Szenen oder Werken wie Das Opfer (1961/ 1971), Vertreibung (1973), Unterdrückt (1975) oder Wissenschaftler mit totem Kind (1966).

Die Blinden im Gebirge IV, 1988  70 x 50 cm, Öl auf Hartfaser
Die Blinden im Gebirge IV, 1988 70 x 50 cm, Öl auf Hartfaser

Das Thema „Blinde“ hat Frankenstein öfter aufgegriffen, die Kunstsammlung besitzt neben der Fassung von 1988 noch eine Darstellung von 1992. Die politischen, zeitkritischen Töne, die mit diesem Motiv verbunden waren, wurden in einem Ausstellungskatalog von 1989 ganz deutlich benannt: Es handele sich um „einprägsame Symbole der Ausweglosigkeit des Menschen in einer sinnentleerten und inhumanen Gesellschaft, die den Menschen zu einem willenlosen Objekt degradiert“ (Wolfgang Frankenstein – Bilder aus zwei Perioden, Ausst.-Kat. Ausstellungszentrum am Fernsehturm Berlin 1989, S. 15). Auch wenn Gert Claußnitzer im Katalog diese existentielle Bedrohtheit auf die damaligen Konflikte in Chile, Südafrika und im Nahen Osten bezog, dürfte doch auch der eigene Erfahrungshorizont eine Rolle gespielt haben. Bereits die abstrahierenden Formen der Figuren, der nur angedeutete Hintergrund und die Farbigkeit zeugen von künstlerischer Eigengesetzlichkeit – noch weiter getrieben bei den „Blinden“ 1992 (Abb. 2), die zudem an den berühmten Blindensturz von Pieter Bruegel d. Ä. erinnern, ein ebenso satirisches wie kritisches Gemälde.

Abb. 2: Wolfgang Frankenstein, Die Blinden, Öl/Hartfaser, 50 x 70 cm, 1992
Abb. 2: Wolfgang Frankenstein, Die Blinden, Öl/Hartfaser, 50 x 70 cm, 1992

Der Berliner Maler Wolfgang Frankenstein war 1953 in den Ostteil der Stadt übersiedelt. In den Folgejahren entstanden große baugebundene Werke (z. B. im VEB Holzwerk Berlin-Hohenschönhausen) und monumentale Tafelbilder (Göttinger Apell, Lenin-Triptychon, Novemberrevolution), die den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft ästhetisch unterstützen sollten. Als Mitglied der SED und des Zentralvorstands des Verbandes Bildender Künstler der DDR sowie seit 1973 als Präsident des DDR-Nationalkomitees der Internationalen Organisation der Bildenden Künstler (AIAP) der UNESCO ging Frankenstein häufig auf Reisen und pflegte den künstlerischen Austausch ebenso in Italien wie in Mittel- und Südamerika, er traf Renato Guttuso, Pablo Picasso und Diego Riviera. Mit seinen Werken war er in Ausstellungen in Berlin, Rostock, Schwerin, Greifswald und anderen Städten in der DDR, aber auch in Mexiko und Schweden vertreten. Frankensteins anfänglich abstrakte Malweise wandelte sich zwar zu realistischeren Motiven, doch ein Vertreter des „sozialistischen Realismus“ wurde er in seinen Bildern nie. In seinen theoretischen Schriften setzte er sich hingegen mit den spezifischen Gesetzmäßigkeiten der bildkünstlerischen Form auseinander, die für ihn in ihrer eigengesetzlichen Logik bestimmend waren für die geforderte Nachahmung der Wirklichkeitserscheinung.

Der große Bestand an seinen Werken wie auch seine Person als Künstler und Professor an der Universität machen Wolfgang Frankenstein zu einem exponierten Teil der besonderen Geschichte der HU.

Autorin: Christina Kuhli, Kustodin der HU
Kunstsammlung / Kustodie der Humboldt-Universität