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„Gefangene Stimmen“

Vorlesung (Kulturwissenschaft):

„Gefangene Stimmen“
Zur Aktualität der Tonaufnahmen aus dem Lautarchiv der Humboldt-Universität

PD Dr. Britta Lange

Sommersemester 2016

Im Lautarchiv der Humboldt-Universität befinden sich ca. 7.500 Schellackplatten mit Tonaufnahmen aus der Zeit von 1915 bis 1944. Allein 1.650 Platten nahm zwischen Ende 1915 und Ende 1918 die Königlich Preußische Phonographische Kommission in deutschen Kriegsgefangenenlagern auf. Wilhelm Doegen, „Kommissar“ dieser groß angelegten Sammlung von Beispielen gesprochener Fremdsprachen und Dialekte, zeichnete auch für die Initiation einer Sammlung von Stimmporträts „berühmter Persönlichkeiten“ verantwortlich, die über mehr als zwanzig Jahre fortgeführt wurde. Außerdem enthält das Archiv Hunderte Aufnahmen deutscher Dialekte und Volkslieder sowie deutsche „Vortragsplatten“ mit literarischen Texten aus den 1920er und 1930er Jahren sowie eine Vielzahl von „volksdeutschen“, slawischen und afrikanischen Sprach- und Gesangsproben, die während des Zweiten Weltkriegs erneut in Lagern angefertigt wurden. Produziert wurden damit (nicht nur im Fall der Kriegsgefangenen) Stimmen, die technisch auf dem Datenträger, institutionell im nicht online verfügbaren Lautarchiv und inhaltlich in den ausgewählten Texten gefangen sind.

Die Vorlesung geht anhand von ausgewählten Tonaufnahmen der Institutionsgeschichte des Lautarchivs, aber auch einzelnen Biografien der Sprecher*innen nach. Sie befasst sich mit den technischen Dispositionen der Sammlung, aber auch mit den historischen Situationen und den politischen Interesselagen, unter denen die Aufnahmen stattfanden. Dabei gilt es in theoretischer Hinsicht einerseits die europäische Wissenschaftsgeschichte zu diskutieren, andererseits auszuloten, inwiefern Postcolonial Studies und Sound Studies weitere Verständnisebenen der Sammlung als solcher, aber auch der einzelnen Dokumente erschließen können. Im Hinblick auf die geplante Integration des Lautarchivs in das Humboldt-Forum wird daher immer auch die aktuelle Bedeutung und Relevanz der Aufnahmen betrachtet – unter Einbezug aktueller wissenschaftlicher und künstlerischer Positionen zu den Tonaufnahmen wie auch unter konstitutiver Einbindung studentischer Forschungsprojekte.