Wissenschaftliche Sammlungen

Sammlungsportal

Geschichte

Bei der Arbeit mit Sammlungen ist die historische Prägung des Wissens offensichtlicher und grundsätzlicher als in anderen Wissenschaftsfeldern. So haben einzelne Sammlungen und ihre Objekte häufig eine Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte zurückreichende Geschichte und sind oft nur durch die Kenntnis ihres historischen Kontextes verständlich.
Neben dem Alter einzelner Objekte sind auch Grundannahmen des Sammelns als Wissenspraxis, Klassifikationssysteme, Begrifflichkeiten und Ordnungsprinzipien historisch gewachsen und häufig mit einer gewissen Trägheit behaftet. So sind beispielsweise naturkundliche Sammlungen auch heute noch häufig nach dem Prinzip der scala naturae, also einer linearen Stufenleiter vom Einfachen zum Komplexen, angeordnet, obwohl diese Ordnung schon lange nicht mehr aktuellen Theorien entspricht. Eine in ständiger Aktualisierung befindliche Sammlungspraxis, wie sie an der Humboldt-Universität angestrebt wird, sollte von daher versuchen, sich dieser historischen Dimension bewusst zu sein, sie erkennbar und zum Teil einer reflexiven Praxis zu machen.

Blick in einen Sammlungsschrank der Zoologischen Lehrsammlung Foto: Heike Zappe | HU Berlin

Blick in einen Sammlungsschrank der Zoologischen Lehrsammlung (Foto: Heike Zappe | HU Berlin)

Nicht nur die Objekte selber können fachwissenschaftlich wie auch geschichtlich betrachtet werden, auch die Anordnungen, Schränke, Klassifikationen, Präparartionstechniken und Behältnisse sind historisch gewachsen und prägen unseren heutigen Blick auf die Dinge.

Auch für die Darstellungen in diesem Portal erwächst daraus der Anspruch, fachwissenschaftliche und historische Perspektiven miteinander zu verschränken.
Zudem werden auch ehemalige Sammlungsbestände, die beispielsweise während des Zweiten Weltkriegs zerstört wurden, in diesem Portal aufgeführt, um Geschichtsschreibung nicht lediglich von den heute existierenden Sammlungen aus zu entwerfen und um den Status des Sammelns in geschichtlicher Dimension nachvollziehbar zu machen.

Schlaglichter der Sammlungsgeschichte
Möchte man die Geschichte der Sammlungen der Humboldt-Universität schlaglichtartig erhellen, ist der Ursprung in der Berliner Kunstkammer und der Bergakademie zu sehen. Der Umzug der naturkundlichen Sammlungen aus der Kunstkammer in das Hauptgebäude kurz nach der Gründung der Universität 1810 bedeutete dabei die Auflösung des spartenübergreifenden Sammelns hin zu separaten fachlich orientierten Sammlungen. Anhand der Sammlungsgeschichte lässt sich auch im Weiteren die fachliche Ausdifferenzierung im 19. Jahrhundert nachvollziehen.
Die quantitativen Ausprägungen westlichen Sammelns Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, die in Berlin mit denen in anderen Metropolen vergleichbar waren, lassen sich sowohl in den Museen als auch in der Universität nachvollziehen. Beispiele sind die Eröffnung des Naturkundemuseums 1889 und des Pathologischen Museums 1899 oder die anthropologischen Sammlungen, die Anfang des 20. Jahrhunderts eine enge Verbindung zwischen Museen und Universität belegen. Das rasante Anwachsen der botanischen Sammlungen zeigt die enge Verbindung einer Universitätssammlung zu kolonialen Strukturen. Die Ausweitungen von Laut- wie auch Phonogrammarchiv im frühen 20. Jahrhundert gründeten auf Praktiken obsessiven Sammelns, Klassifikationsbestrebungen und Infrastrukturen, die Kriegsgefangenenlager des Ersten Weltkriegs zur Verfügung gestellt haben.

Dass das Museum für Meereskunde in der Zwischenkriegszeit eines der beliebtesten Berliner Museen war, ist heute kaum mehr bekannt. Foto: Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin
Dass das Museum für Meereskunde in der Zwischenkriegszeit eines der beliebtesten Berliner Museen war, ist heute kaum mehr bekannt. Foto: Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin

Die immensen Verluste während des Zweiten Weltkriegs als Folge der nationalsozialistischen Aggressionspolitik stellten für viele Sammlungen und Museen der Berliner Universität bedeutende Einschnitte dar. Beim Brand des Botanischen Museums Anfang 1944 sind beispielsweise innerhalb einer Nacht Millionen von Objekte verbrannt, vom Christlich-archäologischen Museum und vom Museum für Meereskunde existieren heute auf Grund der Kriegszerstörungen nur noch einzelne Objektbestände.

Die politischen Bündnisse während der DDR-Zeit haben sich auch in den Sammlungen der Humboldt-Universität niedergeschlagen. Foto: Museum für Naturkunde, Berlin
Die politischen Bündnisse während der DDR-Zeit haben sich auch in den Sammlungen der Humboldt-Universität niedergeschlagen. Foto: Museum für Naturkunde, Berlin

Die Ambivalenz während der Nachkriegszeit mit Blick auf die Universitätssammlungen ist noch nicht systematisch untersucht: Einerseits kam es zu Vernachlässigungen und Sammlungsverlusten beispielsweise in den Bereichen der Zoologie und Klassischen Archäologie, anderseits sind zahlreiche neue Bestände entstanden, etwa resultierend aus Kooperationen mit Kuba (Botanik) und dem Sudan (Archäologie).
So wichtig das Bewusstsein für derartige grundsätzliche Tendenzen sein mag, so bliebe mit einer Reduktion auf eine verallgemeinernde Sammlungsgeschichte das große Potenzial der heterogenen universitären Sammlungslandschaft ungenutzt, die Konjunkturen und wechselnden Status von Sammlungen in unterschiedlichen Disziplinen vergleichend und sammlungsspezifisch zu betrachten. Ein solches Projekt steht für die Sammlungen der Humboldt-Universität noch aus.

Ausgewählte Übersichtsliteratur

Horst Bredekamp, Jochen Brüning, Cornelia Weber (Hg.): Theater der Natur und Kunst. Theatrum Naturae et Artis. 3 Bände: Katalog, Essays, Dokumentation. Berlin 2000/2001. Die Bände sind anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Martin-Gropius-Bau erschienen, die eine Übersicht über eine Vielzahl der Sammlungen der Humboldt-Univeristät gegeben hat

Jochen Hennig, Udo Andrascke (Hg.): WeltWissen. 300 Jahre Wissenschaften in Berlin. München 2010. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung anlässlich der Jubiläen von Humboldt-Universität, Berlin-Brandenburgischer Akademie der Wissenschaften, Charité und Max-Planck-Gesellschaft. Thema war die Geschichte der Berliner Wissenschaften im Allgemeinen, worunter auch die Sammlungen fielen. Das ausführliche Literaturverzeichnis zur Geschichte der Berliner Wissenschaften ist online einsehbar: Bibliografie WeltWissen

Ferdinand Damaschun, Sabine Hackethal, Hannelore Landsberg, Reinhold Leinfelder (Hg.): Klasse, Ordnung, Art - 200 Jahre Museum für Naturkunde Berlin. Rangsdorf 2010. Publikation anlässlich der gleichnamigen Ausstellung.

Anita Hermannstädter, Ina Heumann, Kerstin Pannhorst (Hg.): Wissensdinge. Geschichten aus dem Naturkundemuseum. Berlin 2015. Kurzessays zu Objekten aus dem Berliner Museum für Naturkunde.

Thomas Schnalke, Isabel Atzl (Hg.): Dem Leben auf der Spur im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité. München 2010. Dokumentation der Dauerausstellung des Museums

Beate Kunst, Thomas Schnalke, Gottfried Bogusch (Hg.): Der zweite Blick. Besondere Objekte aus den historischen Sammlungen der Charité. Berlin 2010. Überblick über die historischen Sammlungen der Charité sowie ausgewählte Objektbiografien.